Wenn Hunde zu Katzen mutieren

Ich muss euch eine schaurige Geschichte erzählen. Wie ihr sicherlich wisst, gibt es ‘Hunde-Menschen’ und ‘Katzen-Menschen’. Beides kann man nicht sein, auch wenn man beide Tierarten Zuhause hat, denn Hunde und Katzen stehen für zwei ziemlich verschiedene Charakter. Der Hunde-Mensch liebt Hunde, weil sie einem bedingungslos lieben, immer bei der Familie sind, zu jeder Zeit für Liebkosungen und Streicheleinheiten zu begeistern sind und jedes Mal vor Freude fast kollabieren, wenn man kurz weg war und wieder nach Hause kommt. Der Hund ist loyal, treu und sein Territorium begrenzt sich meistens auf die Wohnung und Garten/Balkon seiner Menschenfamilie.

Die Katze ist anders: Sie ist unabhängig, holt sich oft lediglich Zuhause das Futter ab und geht dann umgehend wieder ihres Einzelgängerweges. Gekuschelt wird grundsätzlich nur, wenn sie es will und wenn die Menschenfamilie von den Ferien nach Hause kommt, würdigt sie diese keines Blickes. Im Gegenteil: Man muss feststellen, dass die Katze während der Abwesenheit der Familie genüsslich aufs Sofa uriniert hat, um ihrer Missbilligung Nachdruck zu verleihen, dass man ihr eine Woche lang nicht die Tür aufgehalten hat – wie sie das sonst immer mit einem ungeduldigen ‘Miau’ befehlen kann. Katzen sind also unabhängig, opportunistisch, manchmal launisch und ihr Territorium / Bewegungsraum erstreckt sich weit über die Wohnfläche der Famile hinaus.

Soviel zur Allgemeinwissen. Und jetzt stellt euch vor, ich wäre ein Hunde-Mensch, der es geniesst, wenn jemand um ihn herum ist, ihm Aufmerksamkeit und Liebe gibt. Ich mag es auch, für dieses Lebewesen der unangefochtene Held und Anführer zu sein. Stellt euch weiter vor, dass mein Hund ca. 13 oder 14 Jahre alt ist, als ich in ihm plötzlich eine Veränderung spüre. Der Hund verändert sich vor meinen Augen jeden Tag ein bisschen – äusserlich und vom Charakter! Ich bin völlig perplex und weiss nicht, ob ich meinem Hund jetzt zuerst zum Hundepsychologen oder zum plastischen Chirurgen bringen soll, denn seine Veränderung wird immer fremder und unangenehm.

Nach etwa 3 Monaten erkenne ich endlich, was hier passiert: Mein Hund mutiert! Er metamorphosiert zu einer Katze!!! Sein ganzes Wesen ändert sich auch: Er hört nicht mehr auf mich, er kuschelt nicht mehr, er haut ab und zieht nun draussen seine eigenen Runden ohne mich, und er ignoriert mich mehr und mehr. Und er miaut!! Ich verstehe nun nicht mehr, was er will/braucht, denn ‘kätzisch’ kaum verständlich für den Menschen.

Nach vier Monaten ist die Verwandlung abgeschlossen und ich – der Hunde-Mensch, der es doch braucht, dass er täglich Liebe, Aufmerksamkeit und Dankbarkeit bekommt – sitze alleine im Wohnzimmer und vermisse meinen Hund, während eine Katze ihren Egotrip bei mir in der Wohnung abzieht. Die ganze Verwandlung ging einfach zu schnell und nun scheine zur Rolle eines Dienstangestellten degradiert worden zu sein. Ich nur noch Essenslieferant, Reinigungskraft, Chauffeur (wenn man mal zum Tierarzt muss). Neuerdings macht mein Hund – äh meine Katze – auch in ein richtiges Katzenklo, welches natürlich ich fast täglich saubermachen muss, weil mein Katzenhund mir sonst demonstrativ aufs Sofa pisst…

Ich fühle mich leer, ungeliebt, ausgestossen, zurückgewiesen und allein. Diese Verwandlung hat mich total unvorbereitet getroffen und ich traure der Nähe und Liebe zu meinem Hund nach.

So. Jetzt wisst ihr Schlaumeier natürlich, dass Hunde nicht zu Katzen mutieren. Die Geschichte ist aber soweit wahr, dass ich mit dem unabhängig werden, der Pubertät und vor allem mit der Abnabelung meiner Kinder gegenüber mir als Vater echt zu kämpfen habe. Meine Töchter – für die ich 14 Jahre das Zentrum ihres Lebens war – haben sich innert weniger Monate von Hunde-Kinder zu Katzen-Kinder verwandelt (sinnbildlich natürlich). Seit Dezember kommen meine Kinder kaum noch aus ihren Zimmern. Sie ‘face-timen’ ständig mir ihren Freunden oder sie interessieren sich nur noch dafür, wann sie so schnell wie möglich wieder aus dem Haus gehen können, um irgendwen zu treffen. Jungs und Freundinnen sind plötzlich wichtiger als der Papa und alles Familiäre wird konsequent runter-priorisiert. So kommt es, dass ich meine Töchter täglich nur noch ca. 15 Minuten sehe beim Nachtessen, und auch dort muss ich froh sein, wenn wir mal über etwas anderes sprechen können, als über “gib mir Geld” oder “wann müssen wir heute Abend wieder Zuhause sein – und warum?”.

Natürlich lieben mich meine Kinder nach wie vor – so sagen sie zumindest – aber ihre Interessen und Prioritäten haben von ‘nach innen’ total auf ‘nach aussen’ gewandelt. Ihr Bewegungsraum hat sich innert kurzer Zeit bis Zürich, Baden, Winterthur oder Frauenfeld ausgeweitet. Weiter sind sie sehr darauf bedacht, ihren Freundeskreis ja nicht mit dem Familienkreis in Berührung kommen zu lassen und ja, sie holen sich etwas überspitzt gesagt nur noch Futter, Dienstleistungen oder Geld von mir. Ansonsten bin ich nicht mehr so mit von der Partie, wie früher.

Oh wie schön war es, als alles zusammen gemacht haben, als wir zum Beispliel Power-Shopping im Einkaufszentrum gemacht und uns danach mit Süssigkeiten vollgestopft haben! Heute geht ein Shopping-Dialog etwa so:

Katzen-Kind:   “Papi, ich muss dringend neue Kleider haben”
Naiver Vater: “Oh cool – dann gehen wir mal wieder ins Shopping-Center zusammen!”
Katzen-Kind:   “Spinnst du (nahe an der Panik-Attacke)!? Was, wenn uns einer unserer Freunde sieht, wie wir mit unserem Vater shoppen gehen! Das wäre sooo peinlich!”
Naiver Vater: “Seit wann bin ich denn euch peinlch? Ihr habt wohl den coolsten Vater von allen und ich muss doch auch mal ein T-Shirt kaufen.”
Katzen-Kind:   “Aber sicher nicht gleichzeitig mit uns. NIEMAND geht noch mit seinen Eltern einkaufen. Du kannst an einem anderen Tag gehen. Heute fährst du uns aber bitte hin und später (wenn SIE genug haben) kannst du uns wieder abholen. Wir treffen uns dann um die Ecke, wo dich niemand sieht. Ach ja, und kann ich bitte 200 Stutz haben?”
Naiver Vater:  Sprachlos. Die Welt geht unter.

Ja, ich gestehe es ein, dass mich die Auswirkungen der Pubertät und der Abnabelung der Kinder von den Eltern ziemlich unvorbereitet erwischt hat. Ich wusste, dass es kommt, aber ich konnte mir die Konsequenz nicht wirklich vorstellen. Vielleicht fällt es mir auch besonders schwer, weil ich alleinerziehend bin und in den vergangenen Jahren fast nichts anderes gemacht habe, als Kochen, Waschen, Putzen, 100% Arbeiten, Kinder in der Schule und im Berufswahlprozess unterstützen etc. etc.. Vielleicht hoffte ich, dass wir 3 eine Verbindung hätten, der eine Pubertät nichts anhaben könnte.

Mir war die Zusatzbelastung von Job, Kinder und Haushalt nie zu viel, weil ich es für die Kinder tat und sie mir so viel Liebe gegeben haben. Die Kinder waren sich auch immer bewusst, welche Aufgaben ich damals als alleinerziehender Vater mit Vollzeitjob übernommen hatte, Heute jedoch sehen die Kids gar nicht mehr so, wie ich strample, um den Laden am Laufen zu halten. Durch die Distanz erhalte ich auch nicht mehr die gleiche Frequenz und Intensität an Liebes- und Dankbarkeitsbekundungen von meinen Mädchen, weil sie schlicht nicht mehr dabei sind, wenn ich abends nach dem Essen noch die Küche aufräume, das Bad putze oder Rechnungen bezahle, bis die letzte Wäsche im Tumbler ist.

Ich vermisse meine Hunde-Kinder sehr.

Ich habe darum mit meinen Töchtern gesprochen, ihnen erklärt, wie ich mich fühle und ein paar kleine Abmachungen getroffen, die mir helfen sollten, mit der neuen Situation besser umgehen zu können:

  1. Das gemeinsame Nachtessen ist mir heilig ‘heilig’. Diese 20 Minuten sitzen wir alle zusammen, lassen die Handys weg und rennen auch nicht gleich wieder weg, wenn man als Erster fertig ist mit dem Essen
  2. Mit den grösseren Freiheiten, welche die Kinder einfordern, kommen auch grössere Pflichten. Wer abends lang weggehen will, der kann auch pünktlich sein und muss dafür morgens auch aufstehen können, ohne dass ich 20 Minuten vor Schulbeginn das Bett kippen muss
  3. Wenn ich ab und zu eine meiner Töchter bitte, etwas für mich in den Keller zu bringen oder beim Grossvater zu holen, dann möchte ich nicht jedes Mal erleben, dass ein Schiedsgericht aufgebaut wird, bei dem zuerst mal akribisch alle Zeugenaussagen und Beweismittel gesammelt werden, um festzustellen, welches der beiden Kinder eventuell in den letzten 3 Monaten schon 1x mehr in den Keller gehen musste und dabei eine etwas grössere Traglast bewegen musste, als die andere. Denn: wenn ich mal kurz eine helfende Hand brauche, dann sind so Diskussionen in der Regel nicht sehr förderlich
  4. Ich darf ab und zu (das kommt vielleicht alle zwei Wochen mal vor) meine Kinder zu mir holen, indem ich “Ich fühl mich alleine!” rufe. Dann kommt mindestens eine Tochter runter und schaut halt dort TikTok-Videos, anstatt im eigenen Zimmer
  5. Die Kinder halten sich möglichst zurück, über das gekochte Menu, die (noch nicht) geleistete Hausarbeit oder eine verspätete Wäsche zu motzen. Ich koche halt keine Chicken McNuggets wie der ‘Schnellimbiss mit dem gelben M’ und wenn ich mir Mühe gebe, ein Menu auf den Tisch zu bringen, dann kann man sich das “Wäh, hani nöd gern” auch nur denken.
  6. Wenn jemand mit der Qualität oder Geschwindigkeit meiner Hausarbeit nicht zufrieden ist, dann kann man mit anpacken, statt den Hotelgast rauszuhängen und eine verbale und vernichtende Trip Adviser-Bewertung abzugeben

Es geht einerseits um Wertschätzung und dem Bewusstsein, was der Alte da macht, die etwas geschwunden ist. Andererseits ist es das erste Mal während den 5 Jahren meiner Trennung, dass ich mich ab und zu richtig alleine fühle – auch wenn die Kinder Zuhause sind. Und natürlich ist nicht zuletzt ein bisschen Wehmut und verletzter Papa-Stolz dabei, weil mir bewusstwird, dass sich jetzt das Leben meiner Töchter nicht mehr vollumfänglich und ausschliesslich um das eingeschworene und durch unsere Historie fest verbundene Trio ‘Fay-Mia-Papi’ dreht.

Wenn man es von der positiven Seite anschaut, dann gilt es zu akzeptieren, dass das Leben weitergeht und ich stolz sein kann, dass meine Kinder so mutig ihre Flügel ausstrecken und selbstbewusst die Welt erkunden. Das zeigt mir, dass ich ihnen doch das eine oder andere auf den Weg mitgegeben habe.

Und was mache ich jetzt gegen die drohende Einsamkeit? Vielleicht schaff ich mir einen Hund an. Oder eine Freundin. Mal schauen.

Kommentar verfassen